Funkamateur 04/89 |
oder
was ein kleiner Computer mit der großen Politik zu tun hat
Anfang der achtziger Jahre: Das Referat Technik des
Präsidiums des Radioklubs der DDR beschloß
die Entwicklung eines elektronischen Fernschreibgerätes, das
vorrangig der Weiterentwicklung der
Sendeart RTTY dienen sollte. Unter mehreren anderen Lösungen
unterschiedlichen Aufwands setzte
sich der Vorschlag Frank Heyders, Y21SO, durch. Er legte das Konzept
eines universell anwendbaren
Amateur(funk)computers vor.
Die technische Grundlage für einen solchen Mikrorechner sollte das
Prozessorsystem U 880 bilden,
das Anfang der achtziger Jahre auch dem Amateur bereits aus
DDR-Produktion zur Verfügung stand.
Wesentlich komplizierter zeigte sich die Lage bei den peripheren
Bauelementen. Die Bedingung,
den Computer ausschließlich mit in der DDR erhältlichen
Schaltkreisen zu konstruieren, war nicht
einfach zu erfüllen.
Frank Heyder machte sich an den Hardwareentwurf. Bald darauf entstand
unter Mitarbeit von Frank,
Y21SO, Sigi, Y21YO und Olaf, Y23FO, der erste Versuchsaufbau. Frank
schrieb das Betriebssystem
und realisierte die Inbetriebnahme des ersten Rechners.
Glücklicherweise existiert noch der
"Urahn", der erste AC1, so war ich in der Lage, dieses historische
Stück ablichten zu können
(s. nächste Seite). Die erste Software waren der Monitor, ein
einfaches RTTY-Programm und ein
CW-Programm. U.a. aus dem Einsatzvorhaben RTTY resultiert übrigens
das Format 64 Zeichen je Zeile!
Parallel dazu erfolgte der Abschluß einer Neuerervereinbarung mit
dem Zentralvorstand der GST zur
Entwicklung einer Leiterplatte für den Amateurcomputer, die ihn
für die Amateure nachbaubar machen
sollte. Bedingung war hier eine möglichst einfache und in der
Herstellung billige Leiterplatte.
Deshalb schied damals eine durchkontaktierte Leiterplatte aus. Das
Originallayout hatte, im
Maßstab 4:1 entworfen, die stattlichen Abmessungen von 1 m x 1,20
m!
1983 war der AC1 dann als ZMMM-Exponat in Leipzig zu sehen.
Schließlich war es soweit: die ersten zehn Platinen der
Versuchsserie lagen auf dem Tisch.
Sogleich machte sich eine Gruppe von Funkamateuren, unter ihnen auch
der heutige Generalsekretär
des RSV, Ulrich Hergett, Y27RO, an den Aufbau. Bei Frank Heyder stand
das Funkgerät nicht mehr
still. Unzählige Konsultationen auf dem Band und viele Wochenenden
vergingen, bis die
Versuchsserie komplett lief. Voraussetzung für Frank, die
Veröffentlichung im FUNKAMATEUR
vorzubereiten. Der Chefredakteur K.-H. Schubert, Y21XE, hatte das
Projekt von Anbeginn unterstützt,
gab es doch damals in der DDR noch keine Publikation zum Selbstbau
eines Computers und der Gedanke
an die industrielle Herstellung eines allgemein verfügbaren
Heimcomputers steckte noch in den
Kinderschuhen.
Auch zum AC1-Projekt gab es Skepsis von verschiedenen Seiten, da es
damals durchaus nicht einfach
erschien, einen Computer "auf dem Küchentisch", noch dazu durch
Nichtcomputerexperten, aufzubauen.
Man wagte das Projekt dennoch, und - um es vorwegzunehmen, der Erfolg
gab den Optimisten recht.
Hier sei ein entfernter Vergleich zur Industrie gestattet: Würde
man noch heute auf die
Bauelemente und Technologien von morgen warten, wo würden wir dann
heute in der Elektronik stehen?
Wohl auf keinen Fall bei 16-Bit-Computern, kurz vor dem
32-Bit-Prozessor oder bei
1-Mbit-Speicherschaltkreisen. Auch bei unserem kleinen Computer
ignorierte man die, die ewig über
den Zaun blickten und auf die Erleuchtung warteten. Nein, man besann
sich statt dessen auf die
eigene Kraft, überlegte und fing einfach an.
In dieser Zeit entstand so manche Freundschaft zwischen Gleichgesinnten
und ihren Familien, die
die Zeit überdauerte. Olaf hatte eine besonders glückliche
Hand, als er Jörg Reul, Y27XO, mit
Frank Heyder persönlich bekanntmachte. Jörg war ein
Autodidakt, der sich sehr schnell
umfangreiche Programmierkenntnisse aneignete, für Frank so eine
wertvolle Hilfe bei der
Erarbeitung guter Soft- und Hardware wurde. Das Team Heyder/Reul war
geboren, beide haben nie die Tassen Kaffee und die Wochenenden
gezählt, an denen sie Soft- und Hardwareprobleme diskutierten,
genausowenig wie die AC1, die Frank später zum Leben erweckt hat.
Durch die erfolgreiche Versuchsserie hatten nun Konstrukteur und
Redaktion die Garantie für ein
fehlerfreies Leiterplattenlayout einschließlich des
dazugehörigen Bestückungsplans. Dazu kam die
bereits vor der Veröffentlichung erprobte Bauanleitung, in die nun
die umfangreichen Erfahrungen
aus der Versuchsserie eingeflossen waren. Damit entstand eine
Bauanleitung nach Maß. Einige
Erfahrungen im Aufbau und für die Funktion von Digitalschaltungen,
das Wissen, wo beim Lötkolben
vorn ist, ein Prüfstift, ein Vielfachmeßgerät und
bestenfalls ein Oszilloskop, das waren die
Voraussetzungen, die man mitbringen mußte, um anzufangen.
Apropos anfangen - ja, womit denn, hat sich nach dem Beginn der
Beitragsserie im FUNKAMATEUR so
mancher landauf, landab gefragt. Das Bauelementeproblem war ja noch
mehr oder weniger schnell
lösbar, aber die Leiterplatte? Das Haus des Radioklubs
organisierte die Herstellung einer Serie
von 150 Platten, aber auch die waren nur ein Tropfen auf dem
heißen Stein. Schließlich und endlich
fand man den Partner, den VEB Elektrophysikalische Werke Neuruppin.
Hier entstand dann die Serie
von 3000 Leiterplatten, die zum Preis von 21 Mark (!) in Wermsdorf
vertrieben wurden. Später stießen
zum Kreis der Leiterplattenhersteller noch die Firma Ing. Kolbe und
verschiedene private Anbieter,
so daß man heute von etwa 5000 verkauften Leiterplatten ausgehen
kann. Wenn das keine Resonanz auf
eine Veröffentlichung ist! Und was diese Resonanz für Autor
und Redaktion bedeutete, kann man sich
leicht vorstellen, Anfragen und Aufbauhilfe - es reißt bis heute
nicht ab!
1984 also, mit der Veröffentlichung der Bauanleitung des
"Amateur-Computer 1" war die öffentliche
Geburtsstunde des AC1 datiert. Seither ist er im Gespräch bei
tausenden Computerfreunden im ganzen
Land. Man lötete, blockierte die Kanäle nächtelang,
fluchte oft genug, warf alles in die Ecke,
um dann, wie magisch angezogen, doch weiterzumachen.
Trümpfe der Bauanleitung waren ihre Übersichtlichkeit und das
Prinzip einer detaillierten
Beschreibung der schrittweisen Inbetriebnahme, die es auch
Nichtcomputerexperten möglich machte,
ihren Computer selbständig in Betrieb zu nehmen, nachdem die
offenbar obligatorischen Zinnbrücken
beseitigt und die vergessenen Lötstellen nachgelötet waren.
Bernd Fischer aus Halberstadt schrieb
uns dazu: "Es war ein erhabenes Gefühl, die ersten Zeichen auf dem
Bildschirm zu sehen. Ich hatte
es aus eigener Kraft geschafft!" Ein Gefühl, das sicher jeder
Amateur nachempfinden kann.
Oder K. Kanzler aus Sömmerda: "... ich bin Werkzeugmacher, 52
Jahre. Das sind nicht die besten
Voraussetzungen zum Bau eines Computers, aber ich habe mich beim Bau
und Betrieb ganz schön
reingefuchst ... " Zwei Beispiele aus der Vielzahl der Zuschriften an
unsere Redaktion.
Das Entwicklungskollektiv organisierte aus dem
großen Bedarf an Software heraus zwei
Softwareveranstaltungen im Haus des Radioklubs der DDR. Schon hier war
der Andrang nicht mehr zu
bewältigen, man appellierte an alle Computerfreunde, die Software
schnell, unkompliziert und vor
allem kostenlos weiterzugeben. Und nun folgte ein dunkles Kapitel des
Umgangs unter einigen
AC1-Besitzern. Für den etwas abseits vom Geschehen wohnenden User
kostete es plötzlich viel Geld,
über Dritte AC1-Programme zu bekommen. Einige gaben auf,
verbittert über solche Praktiken.
Software kam auch aus den User-Gemeinschaften in allen Teilen unseres
Landes. Leider ging dabei
auch das ursprüngliche Software- und Hardwarekonzept (zum Beispiel
der Sprungverteiler) manchmal
unter, so daß die Situation für den normalen User bald sehr
unübersichtlich wurde. Um der
einheitlichen Softwarerichtlinien willen und aus der Philosophie
heraus, daß ein Monitor ja
eigentlich nur ein Urladersystem sein soll (zunächst gleich, wie
komfortabel), hat die Redaktion
FUNKAMATEUR sich bisher ausschließlich am Monitor V3.1
orientiert, da wir die Prämissen der
Entwickler als bindend akzeptieren. Wenn die Schnittstellen und der
Sprungverteiler beachtet werden,
ist es letztlich tatsächlich nur eine Komfortfrage.
Viele unserer Leser beklagten das "Softwareloch" für den AC1 im
FUNKAMATEUR. Das betrifft
besonders die AC1-Besitzer, die keine Verbindung zu Usergemeinschaften
haben. Frank Heyder
dazu: "Es ist für einzelne nicht einfach, in kurzer Zeit
anspruchsvolle Soft- und Hardware zu
entwickeln. Die Programme sind gründlich zu testen,
Musterkassetten und die dazugehörigen
Beschreibungen sind zusammenzustellen, die Manuskripterarbeitung
für den FUNKAMATEUR braucht
ihre Zeit, wenn die Beiträge leicht verständlich sein sollen.
Beruf, Familie und Amateurfunk
wollen auch bewältigt sein." Um der steigenden Nachfrage nach
neuer Hard- und Software Herr zu
werden, entstand der Gedanke der Bildung des Berliner
Amateurcomputerclubs. Unter der Trägerschaft
des Kulturbundes und initiiert von engagierten Computerfreunden wurde
Anfang 1988 der ACC gegründet.
Von hier aus hat man inzwischen etwa 1000 Musterkassetten verschickt,
die die Grundsoftware des
Standes von 87/88 enthielten. Dazu existiert ein noch recht
weitmaschiges Netz von
Bezirkskoordinatoren in einigen Bezirken der DDR (siehe POSTBOX dieser
Ausgabe), die in
ehrenamtlichem Rahmen die Verteilung von Software und neuen
Hardwaretips in ihren Bezirken
übernehmen. Nach der unvermeidlichen Konsolidierungsphase geht der
Berliner Klub nun 1989 gezielter
an die Arbeit. Hier sei die Bildung von Arbeitsgruppen wie CP/M,
Assemblerprogrammierung,
BASIC, Grafik und Speicherproblematik genannt. Ein Schritt in die
richtige Richtung, wie ich finde.
Und eine wertvolle Erfahrung in puncto Kollektivgeist und
Weiterbildungswillen! Die Softwareabgabe
geschieht generell kostenlos, aber die auch bei anderen Computertypen
schon zur Berühmtheit
gelangten "Programmhamsterer" mögen dringend beachten, daß
alle Kopierarbeit die Freizeit einiger
Engagierter, den mitunter nicht ganz kurzweiligen Gang zur Post und oft
genug auch deren Geld
wegen vergessenem Porto kostet.
Der vorläufige Höhepunkt der Softwareentwicklung nahm Ende
1988 Gestalt an - das CP/M für den
AC1! Damit ist ein Softwarehinterland erschlossen, das zur Zeit (auf
8-Bit-Maschinen) noch
seinesgleichen sucht. Der Trend geht nun zu hochwertiger Software, wie
solcher zur
leistungsfähigeren Textverarbeitung, guten Spielen, einem
hochwertigen und kompatiblen
BASIC-Interpreter, zur Erschließung weiterer Programmiersprachen.
Sich bereits abzeichnende
Hardwareentwicklungen wie Floppy-Disk-Laufwerksteuerung und Vollgrafik
werden den
Softwareentwicklem ein enormes Betätigungsfeld öffnen. Es
gibt also vorläufig noch keinen Grund,
den AC1 mit seinen 8 Bit Verarbeitungsbreite in die Ecke zu stellen.
Um das Thema Software abzurunden, sei hier noch ein spezieller Wunsch
der Funkamateure, wie Y32OJ
und Y24VF genannt: ein Amateurfunkmonitor, der u.a. verschiedene
Sendearten unterstützt. Auch
die Elektronikamateure unter den Computerfreunden haben sich zu Wort
gemeldet. Sie wünschen sich
mehr Software zum Einsatz des Computers als Meßgerät. Die
Musikelektroniker sind ebenfalls
gefordert. Wer erweckt denn nun endlich die vier CTC-Kanäle
richtig zum Leben?
Der AC1 trat just zu dem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit, als es mit der Halbleiterindustrie unseres Landes rasant vorwärtszugehen begann. Plötzlich waren sie da, die 16-K-dRAMs, die 4-K-sRAMs, die 2-K-EPROMs, die Interfaceschaltkreise aller Couleur, die Marken-CPUs mit 2,5 und 4 MHz. Und in diese Situation gerieten jene, die erst ab etwa 1986 begannen, ihren Computer aufzubauen: Man lötete noch an der recht schnell erschienenen 16-K-Erweiterung, da wurde es wahr - die DDR produziert massenweise 64-K-dRAMs. Und schon Ende 1987 waren in Wermsdorf die ersten S1-Typen des U 2164 für 9,40 M erhältlich. 1988 sank der Preis örtlich weiter auf 5,65 M, und Verfügbarkeit stellte kein Thema mehr dar. Bei diesem Tempo bleibt der 256-K-dRAM auf der RAM-Floppy sicher nicht mehr allzulange ein Traum ...
Der Standard-AC1 sieht heute so aus: Er hat-ein
Bildschirmformat von 32 Zeilen a 64 Zeichen,
64-K-dRAM, den 2-K-Zeichengenerator mit Pseudografik und
2-K-Bildwiederholspeicher.
Wie geht es nun weiter mit der Hardware? Noch in diesem Jahr werden die
Arbeiten an der Anpassung
der 256-plus 64-K-RAM-Floppy nach MP 3/88 und an der
Floppy-Disk-Laufwerksteuerung abgeschlossen.
Ein detaillierter Ausblick darauf und auf andere Hardware soll einem
speziell diesem Thema
gewidmeten Beitrag in einer der nächsten Ausgaben vorbehalten
bleiben.
Fünf Jahre AC1 - auch ein Exkurs durch einen wesentlichen
Abschnitt der Entwicklung unserer
Mikroelektronik. Selten waren so viele Amateure so dicht dran am
Geschehen - man kann die Dynamik
des Voranschreitens der Halbleiterindustrie unmittelbar erleben; ich
meine, das hat schon etwas vom
Abenteuer unserer Zeit. Und - es spricht für sich, daß
Amateure in unserem Land in der Lage sind,
aus der eigenen, hochentwickelten Bauelementebasis heraus Rechner zu
bauen, die ein enormes
geistiges Potential freisetzen, das in vielen Fällen auch in der
professionellen Leistung seinen
Niederschlag findet.
Wie viele haben gerade über diese Bauanleitung zur
Mikrorechentechnik gefunden, ihre
Berührungsängste verloren und nun in ihren Betrieben und
Einrichtungen zur breiten Einführung
der Mikroelektronik beigetragen! Unter diesen Aspekten betrachtet, sind
die Erschließung des
CP/M, die Einbindung der RAM-Floppy und die Einführung des
Floppy-Disk-Laufwerkes ein nicht
unwesentlicher Beitrag der Elektronikamateure zum 40.Jahrestag unserer
Republik, denn nur
Leistung, Kreativität und der Wille zum Erfolg bringen uns
vorwärts. Das gilt für die Amateure
wie für die Industrie.
230 KByte | 328 KByte | 43 KByte |
Titelseite | 2.US | 5 Jahre AC1 |
91 KByte | 356 KByte |
Ur - AC1 | AC1 bei Y34ZF |